„Steine sind stumme Lehrer, sie machen den Beobachter stumm, und das beste, was man von ihnen lernt, ist nicht mitzuteilen.“
„Wie mir auch Mineralogie und das bischen botanischer Begriff unsäglich viel aufschliesen und mir der eigentlichste Nutzen der Reise bis jetzt sind.“
J.W. von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) ist heute als Autor und Dichter weltbekannt, nebenher betätigte er sich aber auch als Anwalt, Politiker, Künstler und als begeisterter Geologe. Im Laufe des Jahres 1785 plante Goethe einen „unbestimmten Urlaub,“ um „der freyen Lufft und Welt geniessen, mich geistlich und leiblich zu stärcken.“
Es sollte eine Reise nach Rom werden. Über Karlsbad, Regensburg und München ging es zunächst Richtung Alpen. Auf alten Handelsrouten über Kochelsee, Walchensee und Seefeld querte man die Nördlichen Kalkalpen und erreichte Innsbruck.
„Die duncklen mit Fichten bewachsnen Vorgründe, die grauen Kalckfelsen, die höchsten weisen Gipfel auf dem schönen Himmelsblau, machen köstliche, ewig abwechselnde Bilder.“
Während der Reise werden auch Gesteine beschrieben, ihre Lagerung festgehalten, Proben aufgesammelt und eine Profilskizze quer durch den Alpenkörper angefertigt.
Er beschreibt die vorherrschende Gesteinsfarbe, die typische Lagerung in verschieden mächtigen Bänken, welche die einzelnen Formationen charakterisieren und spricht auch die durch die geologischen Bewegungen hervorgerufene Faltung ebenso an wie die durch die unterschiedliche Verwitterung der verschiedenen Gesteine bedingte Geomorphologie.
„Ich habe schon gesagt daß ich bisher die Kalck Alpen durchwandert habe. Sie haben ein Graues Aussehen und schöne unregelmäßige Formen ob sich der Fels gleichauch in Lager und Bänke abtheilt. Aber weil auch geschwungene Lager Vorkommen und der Fels überhaupt ungleich verwittert; so sehen die Gipfel seltsam aus.“
Goethe beschreibt die Gesteine bei Innsbruck als „Kalck, von dem ältesten der noch keine Versteinerungen enthält.“ Er glaubt, dass sich die Kalkalpen vom Gotthard bis nach Dalmatien ziehen. Goethe konnte noch nichts über die Dreiteilung der Alpen in Nördliche Kalkalpen-Zentralalpen-Südliche Kalkalpen wissen, die erst 1791 durch den französischen Alpinisten und Naturforscher Belsazar Hacquet eingeführt wurde.
Von Innsbruck aus ging es dann Richtung Brenner, wo Goethe am 8. September 1786 ankommt. Es folgt die Beschreibung des Überganges in die kristallinen Gesteine der Zentralalpen mit Marmoren, Glimmerschiefern und Gneisen.
In seinem Tagebuch, wo er für eine spätere Veröffentlichung die Eindrücke der Reise festhält, schreibt er über die metamorphen Gesteine des Wipptales bis zum Brenner:
„Glimmerschiefer und Quarz durchzogen. Stahlgrün und dunkelgrau. An denselben lehnte sich ein weißer, dichter Kalkstein, der an den Ablösungen glimmerig war und in großen Massen, die sich aber unendlich zerklüfteten, brach. Oben auf dem Kalkstein legte sich wieder Glimmerschiefer auf, der mir aber zärter zu sein schien. Weiter hinauf zeigte sich eine Art Gneis oder vielmehr eine Granitart, die sich zum Gneis umbildet.“
Hier sammelt Goethe „wenige Stücke einer Art Gneis“ und beschreibt, laut moderner geologischer Karte, wahrscheinlich den Übergang vom Innsbrucker Quarzphyllit zu den metamorphen Kalkschiefern und Marmorlagen der Tauernschieferhülle und Zentralgneise.
Goethes Geologie wurde stark durch die Lehren des deutschen Mineralogen Abraham Gottlob Werner (1749-1817) geprägt. Laut Werner bildeten sich alle heute erkennbaren Gesteinsarten in einer bestimmten Reihenfolge durch Auskristallisation aus einer wässrigen Urlösung. Das älteste Gestein war Granit, gefolgt von verschiedenen metamorphen Gesteinen und Sedimenten. Im Herbst 1779 traf Goethe während seiner Schweizer Reise den Naturforscher Horace Benedict de Saussure. De Saussure, der später als einer der ersten Forscher den Mont Blanc besteigen sollte, berichtete, dass die höchsten Berggipfel aus kristallinem Granit bestehen.
Goethe ist verwundert, dass er direkt am Brenner keinen Granit finden kann, wo doch im Kern der Alpen der kristalline Untergrund zutage treten sollte. Er schreibt „daß hier oben nicht ferne der Granitstock seyn muß an der sich alles anlehnt …[]… es wäre eine hübsche Aufgabe für einen jungen Mineralogen“ diesen zu finden. Tatsächlich findet sich einige Kilometer östlich des Brenners der Zentralgneiskern, die europäische Unterkruste der Alpen, der jedoch nicht durch Auskristallisation hier abgelagert wurde, sondern durch tektonische Bewegungen freigelegt wurde.
Am 9. September geht es weiter und noch in der Nacht passiert man Sterzing und Mittewald um bei Tagesanbruch Bozen zu erreichen. Ironischerweise verpasste Goethe so den Brixner Granit, der zwischen Mauls und Franzensfeste ansteht. Diese große Intrusion von magmatischen Gesteinen kennzeichnet die nördliche Grenze des Südalpin. Es wäre interessant gewesen, Goethes Gedanken zu diesen Vorkommen von Granit zu kennen, weit abseits des Alpenhauptkammes gelegen. Rund um Bozen beschreibt Goethe wieder Kalkstein und Glimmerschiefer, von Kollmann bis südlich Bozen stehen Porphyre (Bozner Quarzporphyr) an, die laut Werners Lehre und Goethes Meinung nach nicht vulkanischen Ursprungs sind, wie einige seiner Zeitgenossen behaupteten. Tatsächlich irrt sich Goethe, die Etschtaler Vulkanit-Gruppe ist eine Abfolge von Ignimbriten, pyroklastischen Brekzien, Tuffiten und vulkanoklastischen Sedimenten die vor über 250 Millionen Jahre von heftigen vulkanischen Eruptionen abgelagert wurde.
In Bozen ist Goethe schon mehr an die “Dolce Vita” als an Gesteine interessiert und am Gardasee schreibt er:
„Die schönsten und größten Natur Erscheinungen des festen Landes habe ich nun hinter mir, nun gehts der Kunst, dem Altertum und der Seenachbarschaft zu. … Von Bartolino macht ich den Weg über einen Rücken der das Thal worinn der Adige fließt und die Vertiefung worinn der See liegt scheidet. Die Wasser von beiden Seiten scheinen ehmal hier gegeneinander gewürckt und diesen ungeheuren Kiesel Haufen hier aufgethürmt zu haben. … Der Weg von Verona hierher [Vicenza] ist sehr angenehm, man fährt Nordostwärts an den Gebürgen hin und hat die Vorderberge, die aus Kalkck, Sand, Thon, Mergel bestehn.“
Dennoch sammelte er zwischen Innsbruck und Gardasee insgesamt 24 verschiedene Gesteinsarten mit kurzer Beschreibung in seinem Tagebuch und Vermerk des Fundorts.
In seinen späteren Jahren sammelte er auch Mineralien aus Tirol und dem Fassatal. So rühmt er sich in einem Brief an einen italienischen Mineralien-Händler „die wichtigsten Tiroler Mineralien, auch die vom Fassatal, meistens in schönen Exemplaren,“ sein Eigen zu nennen. Weiters Almandine aus dem Zillerthal, Fibrolith (ein fasriger Silimanit) aus der Alpe Lisens im Sellrainer Tal, Asbest auf Quarz, Strahlstein (Aktinolith), Kyanit (vermutlich aus dem Zillerthal), Titanit vom Sellrainer Tal, Gelb Menak (eine Varietät des Titanits) mit Adular vom Goldbergwerk am Rohrberg im Zillerthal, Bitterkalk (Magnesite von Hall in Tirol), Fahlerz, Kupfer und Silbererz von Falkenstein bei Schwaz im Inntal (der Bergbau war bis 1813 in Betrieb). Die Sammlung aus Südtirol enthält schöne Diopside, viel Granate (meist Almandin), dazu Bergkristall, Cyanit, Tremolit, Pyroxen, Eisenglanz, Apatit, Idokras (Vesuvianit) usw.
Literatur:
- ENGELHARDT, W.v. (2003): Goethe im Gespräch mit der Erde. Landschaft, Gesteine, Mineralien und Erdgeschichte in seinem Leben und Werk. Hermann Böhlaus Verlag, Weimar: 375
- FRITZ, F. (2007): Johann Wolfgang von Goethe, ein „Geognost“ seiner Zeit. Berichte des Naturwissenschaftlichen Vereins für Schwaben e.V. Bd 111: 13-22
- WOLFF, H. (1986): Goethes Kenntnisse der Alpen im Lichte der modernen Geologie. JSTOR 70(2): 143-152
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